Eine Leidenschaft, gestrickt in Vorurteile
von Heidi Lombardo/in der LIEWO vom 11.Oktober
Als Gabriela Liebrand zum ersten Mal schwanger war, begann sie aus Vorfreude, ihrem Baby Kleidung zu stricken. Heute bringt sie in ihrer guten Stube auch Teenies und jungen Müttern das «zweimal rechts, einmal links» bei. In ihrer innovativen «Cafe & Wollstube» räumt die leidenschaftliche Handarbeiterin mit bestehenden Vorurteilen wie «Stricken ist etwas für Grossmütter» auf.
In der Schule fand Gabriela Liebrand Stricken schrecklich. Ihre Handarbeitslehrerin kannte sich nur fachlich, aber nicht im Umgang mit Kindern aus. «Sie war eine richtige ‹altledige Jungfer›», erzählt Gabriela Liebrand in der «Cafe & Wollstube», ihrem ehemaligen Wohnzimmer. Ihre Stricklehrerin hatte genau das Image, welches sie heute auf keinen Fall selbst erhalten möchte. Erst als Gabriela Liebrand zum ersten Mal schwanger war, entdeckte sie das Stricken für sich. Die dreifache Mutter erzählt: «Aus Vorfreude wollte ich meinem Baby unbedingt etwas selbst machen.» Ihre Leidenschaft für das Stricken war entfacht. Für die Familie gelebt Gabriela Liebrand probierte beim Stricken immer mehr aus, bildete sich dann auch im Häkeln und Nähen weiter und lernte sogar Klöppeln, eine alte Handarbeitstechnik, mit der verschiedenartige Spitzen gefertigt werden. Als alleinerziehende Mutter von drei Kindern hatte sie dann aber kaum noch Zeit, ihrem Hobby nachzugehen. Um ihre Familie zu versorgen, arbeitete Gabriela Liebrand Tag und Nacht. Egal ob chemische Reinigung, Metzgerei, Gastronomie, Verkauf oder Hausarbeit – die gelernte kaufmännische Angestellte war froh, Geld verdienen zu können. In ihrer spärlichen Freizeit strickte sie ihren Kindern Jäckchen und nähte Hosen. An der Fasnacht bekam natürlich jeder Schützling sein eigenes Kostüm. Als ihre beiden Töchter und der Sohn ins Teenageralter kamen, fing Gabriela Liebrand für sich selbst mit Kunststricken an. «Ich habe gemerkt, dass meine Kinder die selbst gemachten Kleidungsstücke immer weniger gern getragen haben», schmunzelt sie. Ihre Schützlinge wurden erwachsen und die beiden Töchter zogen aus dem Haus am Flumserberg aus. Die Erstgeborene, Esther, hat geheiratet und ist seit Februar Mutter. Die jüngere Tochter, Beatrice, ist heute Verkäuferin in einem Wolle-Geschäft mit Mercerie in Wädenswil. Neue Liebe, neues Glück Durch einen Zufall lernte Gabriela Liebrand an einem Sonntagnachmittag vor vier Jahren den Geschäftsmann Helmut Koch aus Gams kennen. «Mir gefielen seine angenehmen Umgangsformen, seine Zuverlässigkeit und dass er meine Kinder akzeptiert hat», schwärmt die Geschäftsführerin der «Cafe & Wollstube» heute noch. Bereits ein Jahr später bezog Gabriela Liebrand mit ihrem Sohn Thomas und ihrem neuen Freund ein altes Wohnhaus bei der «Alten Mühle» in Gams. «Wir haben die Wohnung auf Vordermann gebracht», sagt die leidenschaftliche Handarbeiterin. Schade war einzig, dass sie bei ihrer neuen Arbeit in einem Lebensmittelgeschäft Probleme hatte. Gabriela Liebrand kam abends oft unzufrieden nach Hause und verbreitete Unmut. Ihrem Lebenspartnter gefiel das auf die Dauer gar nicht. Gabriela, Helmut und Thomas – der zurzeit in einem Fünf-Sterne-Hotel auf Jersey als Koch tätig ist – überlegten sich gemeinsam eine Lösung und kamen schliesslich auf die Idee, ein «Wollcafé» zu eröffen. Kurzerhand wurde das Wohnzimmer zum Wollgeschäft und das Esszimmer zum Café umfunktioniert. Am 1. September 2008 konnte Gabriela Liebrand die Cafe & Wollstube bei der «Alten Mühle» in Gams eröffnen. Ein Traum ging für die leidenschaftliche Handarbeiterin in Erfüllung: «Ich konnte mein Hobby zum Beruf machen.» Im ehemaligen Wohnzimmer verkauft sie nun viele verschiedene Sorten Wolle und Garn, Accessoires wie Reissverschlüsse, Knöpfe und Fäden, Häkel- sowie Stricknadeln in allen Grössen und diverse Strickzeitschriften. Auf Anfrage fertigt sie ihren Kunden das gewünschte Kleidungsstück an und bietet einen Änderungsservice an. Im ehemaligen Esszimmer trinken jetzt nicht mehr nur Gabriela, Thomas und Helmut Kaffee, sondern alle Besucher und Besucherinnen der Cafe & Wollstube. Für die Kleinen gibt es eine Spielecke. Dabei betont die heute 51-Jährige, dass in ihrer guten Stube alle herzlich willkommen sind: «Genauso wenig wie jemand, der Kaffee trinken möchte, Wolle kaufen muss, verpflichtet ein Einkauf im Wollgeschäft zur Bestellung eines Getränkes.» Seit Januar werden in der Cafe & Wollstube auch diverse Kurse angeboten. Damit alte Handarbeitstechniken nicht in Vergessenheit geraten, können auch Klöppeln, Frivolité und Filetknüpfen gelernt werden. Ausserdem findet bei der «Alten Mühle» zurzeit die Vorausscheidung für die Schweizer Strickmeisterschaft statt. Wer bei seiner Strickarbeit nicht mehr weiterkommt, kann jederzeit bei der «Alten Mühle» vorbeischauen. Die leidenschaftliche Strickerin hilft gerne – und selbstverständlich unentgeltlich – weiter. Jugendlichen, jungen Müttern oder älteren Strickanfängern bringt Gabriela Liebrand das «zweimal rechts, einmal links» problemlos bei. Jedes Teil ein Einzelstück Obwohl Gabriela Liebrand mittlerweile auch Grossmutter ist und es liebt, ihrer Enkeltochter Sachen zu stricken, widerlegt sie die Vorurteile gegenüber ihrer Leidenschaft vehement: «Stricken ist nicht nur etwas für Grossmütter im Winter, im Gegenteil, man kann nicht zu jung zum Stricken sein.» Gerade die neuste Mode mit den grob gestrickten Jacken, ausgefallenen Accessoires und lässigen Wickelteilen eignet sich perfekt zum Selberstricken. Die unzähligen Farben und Sorten von Wolle und die verschiedenen Strickmuster und -techniken machen aus jeder Handarbeit ein geliebtes Einzelstück.Die neuen modischen Strickteile haben auch Gabriela Liebrand dazu bewegt, wieder mehr zu stricken. «Die Vielfältigkeit motiviert mich, Ausgefallenes auszuprobieren, Vorgegebenes abzuändern und Exklusives zu erschaffen», schwärmt sie. Steckbrief Name: Gabriela Liebrand Wohnort: Gams Alter: 51 Jahre Beruf: Gelernte kaufmännische Angestellte, Geschäftsleiterin der Cafe & Wollstube bei der «Alten Mühle» in Gams Hobbys: Alle Arten von Handarbeiten, Lesen, Wandern mit meinem Hund Lieblingsessen: Fondue Lieblingsgetränk: Ein gutes Glas Wein Lieblingstier: Mein Hund Dunja, ein Boarder Collie TV-Vorliebe: Rosamunde-Pilcher-Filme Musik: Blasmusik, klassische Musik Lektüre: Geschichten der Zeit Lieblingspflanze: Rose «Meine grösste Stärke ist, …»: «… dass ich mich über Erfolge von anderen freuen kann.» «Meine grösste Schwäche ist, …»: «… nicht nein sagen zu können.» Kontakt: www.wollcafe.ch